Interview – Cicero

DER MIT DEM KIEZ TANZT

Clärchens Ballhaus ist eine Institution in Berlin-Mitte. Die Zeit steht dort still, aber ihr Zahn nagt auch daran. Yoram Roth will das ändern – und stößt auf Misstrauen.

Von Alexandra Duong

Kaffee und Kuchen, Schnitzel und auch osteuropäischer Borscht sollen aufgetischt werden in Clärchens Ballhaus. „Ein Touch Jiddischkeit muss schon rein“, sagt Yoram Roth. „Wenn wir daran denken, was das Judentum zur modernen Gesellschaft beigetragen hat, dann kam vieles aus Berlin, Wien, Budapest. Und dazu gab’s hervorragendes Essen.“ Er hatte mal im Clärchens seinen Geburtstag gefeiert, fand die Stimmung super, die Küche nicht.

Roth ist der neue Besitzer des von vielen heiß geliebten, aber baufälligen Tanzlokals in Berlin-Mitte, erstmals eröffnet 1913. Viel verändert hat er noch nicht. Aber es gibt schon eine Protest-Webseite, einen offenen Brief, eine Petition. Tenor: Es soll so bleiben, wie es ist. Bitte nicht weiter totsanieren im gentrifizierten Kiez.

Clärchens Ballhaus ist eine Institution. Ein Kleinod, das viele kennen. Aus der Zeit gefallen und mit viel Patina. Sehr viel Patina. Patina, die in Verfall übergeht. Aber genau das macht für viele den Charme aus, den sie jetzt in Gefahr sehen. Roth sagt, er wolle aus Clärchens keinen „Etepetete-Palast“ machen. Aber die Leute täten so, als sei das Haus ein absolutes Juwel, dabei fielen die Türen aus den Angeln und die Wände seien voller Schwamm. Der Vorbesitzer habe nicht einen Euro reingesteckt, 15 Jahre lang seien Tausende Menschen ein- und ausgegangen: „Man hat nicht einen Klodeckel ausgetauscht, das ist eklig.“

Roth ist Berliner, hat in New York und Los Angeles gelebt, ist aber 2007 zurückgekehrt. Weil seine Eltern älter geworden seien, weil er gewollt habe, dass seine drei Kinder als Europäer und Berliner aufwachsen. Er entstammt einer Berliner Investorendynastie. Sein Vater: Rafael Roth, mindestens Multimillionär, Mäzen. Schon dessen Großvater war Immobilieninvestor, die Familie wohnte in einem großen Haus an der Schönhauser Allee. Die Familie von Rafael Roths Mutter – Yorams Großmutter – fertigte Möbel in Kassel, deren Firma wurde 1936 arisiert, sie flohen nach Israel. Und schrieben nach Berlin: Schickt wenigstens die Kinder und die Enkelkinder.

Yoram Roths Vater, Großeltern, Tante, gelang die Flucht über Nizza, Palermo, Alexandria bis nach Jaffa. Die Großeltern blieben im Herzen immer Deutsche und kehrten 1954 zurück nach Deutschland. In der DDR wurden sie dann ein zweites Mal enteignet. „Erst waren’s die Nazis, dann die Kommunisten, die es uns weggenommen haben“, sagt er.

Yoram Roth wuchs in Westberlin auf. Sein Vater, als junger Mann bei der israelischen Luftwaffe, habe gern im neuen Deutschland gelebt, wo er zu einem der erfolgreichsten Immobilieninvestoren aufstieg. Er habe zur nächsten Generation deutscher Juden gehört. „Wir waren nicht diese kleinen Schüchternen, die man rumtreten konnte. Sondern nach der Gründung des Staates Israel wird uns das nie wieder passieren und da stehen wir etwas breitschultriger da als frühere Generationen.“

Als die Mauer noch stand, wollte Yoram Roth weg, nach Amerika, von dort kamen Musik, Mode, die coolen Filme. In den Achtzigern zog er als Teenager durch die New Yorker Klubs, studierte Fotografie. Er wollte nicht in die Immobilienbranche. „Ich habe mich schreiend dagegen gewehrt“, sagt er, „teilweise erfolglos.“ Am Ende hätten sich sein Vater und er in der Hotelbranche wiedergefunden.

„Kalte Immobiliensachen“ würden ihn aber nach wie vor nicht interessieren. Doch ist er jetzt CEO der familieneigenen Investmentgesellschaften – den Streit des Vaters um die Cum-Ex-Geschäfte mit der Hypo-Vereinsbank hat er geerbt. Sein Vater habe die Deals nicht verstanden; ihn habe das umgebracht, sagt er. Ein Vergleich wurde vereinbart, der Steuerschaden sei beglichen.

Fotografieren ist nur mehr ein Hobby, Roth sieht sich als Kulturinvestor. Er ist unter anderem Hauptanteilseigner einer Fotomuseen-Gruppe, hat Beteiligungen an den Stadtmagazinen tip und Zitty, und jetzt gehört ihm Clärchens Ballhaus. Bevor er es gekauft habe, hätte ein Bauvorbescheid Luxuswohnungen vorne und ein Vapiano-Lokal hinten genehmigt, das sei gescheitert, und er habe dem Vorbesitzer ein günstiges Angebot machen können.

Als Immobilieninvestition rechne sich Clärchens nicht, als Gesamtbetrieb schon. Grundsätzlich – auch gegen das Klubsterben – schlägt Roth vor, dass Gebäudebesitzer und Betreiber zusammenarbeiten, etwa mit Umsatzmieten. Für seine Projekte braucht er eine internationale Szene, auch eine schnelle Verwaltung. Aber er will nicht schimpfen auf Berliner Ämter und faule Beamte. Und die Zugezogenen aus aller Welt, die

an der Bürokratie verzweifeln? Roth meint, und das könnte man Berliner Schnoddrigkeit nennen: Die müssten sich eben an Berlin gewöhnen.